Arbeitsbereiche
Aus der Arbeit
Einer fährt zu schnell …
Freitagabend gegen 23 Uhr in einer lauen Frühlingsnacht. Ein junger Mann, in guter Stimmung, cool drauf, fährt auf einer Landstraße. Seit drei Jahren hat er den Führerschein. Neben ihm sitzt seine hübsche Freundin, sie ist 16 Jahre alt. Sie kommen von einer Party bei Freunden. Die Musik dröhnt aus der Anlage. Er ist viel zu schnell unterwegs. In einer Kurve verliert er die Kontrolle über seinen Porsche. Ein Baum rast auf ihn zu, dann ist es dunkel, er weiß nichts mehr.
Die Feuerwehr alarmiert die Notfallseelsorge zur Einsatzstelle. Da ich Rufbereitschaft habe, ziehe ich mir die Einsatzweste über, nehme meinen Rucksack, der griffbereit steht und fahre los. Beim Eintreffen an der Einsatzstelle sehe ich das völlig verbeulte, inzwischen aufgeschnittene Auto und denke ein schöner Porsche war es mal, der Traum vieler junger Feuerwehrmänner und Feuerwehrfrauen, jetzt nur noch ein Haufen Blech, Schrott.
Der Einsatzleiter informiert mich: Zwei Personen im Fahrzeug eingeklemmt, zu schnell gegen einen Baum gefahren. Die Beifahrerin 16 Jahre jung war sofort tot, der Fahrer ist im Rettungswagen unter Reanimationsbedingungen in die Unfallklinik nach Dortmund unterwegs. Ein junger Feuerwehrmann spielt mit dem Fahrer in einer Mannschaft Handball. Den haben wir zurück genommen von der Unfallstelle und betreuen ihn durch einen erfahrenen Feuerwehrmann.
Eine Polizistin kommt auf mich zu. „Die Eltern müssen noch informiert werden“, sagt sie. Nun brauch ich weitere Notfallseelsorgende. So überlege ich: Wen kann ich in den Einsatz schicken? Wen kann ich mitten in der Nacht wecken? Wer kann schnell hier vor Ort sein? Ich rufe an und erreiche vier weitere Notfallseelsorgende, die bereit sind, in den Einsatz zu gehen.
Team 1 der Notfallseelsorge muss mit der Polizei gemeinsam der Familie der Beifahrerin mitteilen, dass sie bei einem Verkehrsunfall tödlich verletzt wurde und gestorben ist. Unter der Adresse treffen sie die Oma, den Bruder und die Eltern der Beifahrerin an. Als wir ihnen die schreckliche Nachricht sagen, bricht eine ganze Welt für sie zusammen. Nichts ist mehr so, wie noch vor ein paar Minuten, als die Mutter schon auf ihre Tochter gewartet hatte, weil sie ja nur bis Elf auf die Party durfte.
„Was ist passiert? Warum? Ich wusste es, dass da was passiert, wenn sie mit ihm fährt. Hätte ich sie mal besser selbst abgeholt, aber sie wollte es ja nicht. Stimmt das auch, was sie mir sagen?“
Team 2 der Notfallseelsorge trifft auf die Mutter des Fahrers und ihren Lebensgefährten und die kleine Schwester. Der Vater lebt, wie wir erfahren, in einer benachbarten Stadt mit einer neuen Familie. Wir einigen uns darauf ihn später zu benachrichtigen. Die Mutter will sofort ins Krankenhaus.
Wie kommt sie dorthin? Wer kümmert sich in der Zeit um die kleine Schwester? Hoffentlich kriegen ihn die Ärzte wieder hin, dass er gesund wird.
Die Beifahrerin geht in die 10. Klasse einer Gesamtschule. Am nächsten Tag ruft mich die Klassenlehrerin an, die ich von einer Fortbildung zufällig kenne. Sie hat es bei Facebook gelesen und fragt mich: „Wie soll ich mit den Freundinnen umgehen? Wie soll ich der Klasse sagen, dass sie nie mehr wieder kommt?“ Wir besprechen, dass ich sie am Montagmorgen in der Schule mit einem Team der Notfallseelsorge begleite und wir ihr helfen die Reaktionen der Mitschüler aufzufangen.
Einer fuhr zu schnell … und das sind die Folgen:
30 Feuerwehrleute, Notärzte, Rettungsassistenten und 10 Polizisten wurden zur Unfallstelle gerufen, mussten hinsehen und helfen wo es keine Hilfe mehr gab. Einige kannten den Fahrer vom Sehen, andere kannten nur den auffälligen Porsche.
29 Schüler und Schülerinnen und Lehrer mussten erfahren, dass eine Mitschülerin gestorben ist. Müssen mit diesem Tod leben und wissen nicht wie.
8 Notfallseelsorgende ließen sich rufen, überbrachten schlimmste Nachrichten, waren da und versuchten zu unterstützen und auszuhalten, was Schreckliches passiert ist.
3 Familien, Großeltern und Eltern, Geschwister und Verwandte bekamen die Nachricht vom Tod, von der schweren Verletzung überbracht und erlebten, wie eine ganze Welt für sie zerbrach. Sie weinten und waren traurig. Sie waren wütend und hilflos, konnten es nicht glauben und wollten es nicht wahr haben. Sie suchten einen Schuldigen und machten sich selbst Vorwürfe.
Freitagabend in einer schönen Frühlingsnacht, viele Menschen hätten gerne diesen Abend zu Hause bei ihren Liebsten verbracht. Wären vielleicht vor dem Fernseher eingeschlafen, hätten mit Freunden gefeiert, getanzt und der Musik gelauscht. Doch einer fuhr zu schnell …