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Friedenskirche Unna-Massen Die Kirche wurde nach Grundsteinlegung am 28. Juni 1953 und tatkräftiger Mithilfe während der Bauzeit am 1. Advent 1955 eingeweiht. Im Jahr 2013 wurde eine durch einen Raumteiler geschützte Gedenkkapelle eingerichtet und ein Durchgang zum Gemeindehaus errichtet. An der Wand neben dem Altarraum zeigt ein Putzschnitt den „Sinkenden Petrus“. Die Orgel ist eine Steinmann-Orgel von 1978 . Drei Glocken rufen die Gemeinde zum Gebet und Gottesdienst. Sie tragen die Aufschriften: „Er ist unser Friede“, „Land, Land, Land höre des Herrn Wort!“ und „Ehre sein Gott in der Höhe“ .

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Archiv

01. September 2015

Andacht: Es war einmal: ein evangelischer Marienaltar

Liebe Leserinnen und Leser!

Im Monat September möchte ich mit Ihnen den ehemaligen Hochaltar der Evangelischen Kirche Hemmerde betrachten. Ich weise gleich darauf hin: ich bin kein Kunsthistoriker. Ich möchte nur auf das sehen, was mir auf- und einfällt.

Ein bisschen Geschichte

Zunächst etwas zu den äußeren Umständen. Der Altar wurde im Jahre 1483 angefertigt vom Braunschweiger Künstler Conrad (Cord) Borgentrik (Bildhauer und Maler, 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts, + 1501) und aufgestellt in der Hemmerder Kirche. Zu diesem Zeitpunkt war auch der heutige Chorraum fertig. Der Vorgängeraltar aus der Vorgängerkirche, genannt St. Bartholomäus, am gleichen Ort ist zerstört. Er war dem Heiligen Kreuz geweiht.

Im Jahre 1483 angefertigt und aufgestellt in Hemmerde, das ruft mir ein anderes Datum in Erinnerung: im gleichen Jahr wurde Martin Luther geboren. Für mich ist das Grund genug im Jahr "Bild und Bibel" in der Lutherdekade über diesen Altar nachzudenken.

Leider steht der Altar heute nicht mehr in Hemmerde, sondern im Stadtmuseum Braunschweig, Haus am Löwenwall. Er ist also dorthin zurückgekehrt, woher er einst gekommen ist. Diese Rückkehr fand im Jahre 1865 statt. Die Evangelische Kirchengemeinde Hemmerde hatte damals nicht das Geld, den aus Lindenholz geschnitzten Altar, der vom Wurmfraß befallen war, zu restaurieren.

Das Besondere

Wer den Altar betrachtet, dem fällt sofort auf, dass er ganz anders ist als die Wandelaltäre, die wir sonst in unserer Region antreffen. Nicht die Kreuzigungsszene mit dem Erlösertod Christi am Kreuz steht in der Mitte, der prominentesten Stelle des Altars, sondern Maria mit dem Christuskind, im typischen Stil der Renaissance, fast mit italienischem Einschlag.

Er ist ganz anders, als wir es in unserer protestantischen Tradition gewohnt sind. Er ist ganz anders als die vielen Altäre flämischer Schule, die wir in Westfalen oft finden. Nicht der Kreuzestod Jesu steht in der Mitte des Altars. Dieser Altar verkündet keine Kreuzestheologie, sondern Heilsgeschichte, die zur Erfüllung kommt: Siehe, ich mache alles neu. Und genau das wird in der Kirche verkündet, wo in der Predigt des Evangeliums Gottes Wort immer weiter und immer neu zur Welt kommt, eben als Fortschreibung der Heilsgeschichte Gottes mit seiner Schöpfung in unseren Alltag hinein und uns sozusagen als seinen Assistenten, wie es neulich einer meiner Schüler sagte. Der Kreuzungspunkt dieses Geschehens ist Maria, die Gottesgebärerin, oder die eine christliche Kirche in allen christlichen Kirchen, in denen das eine Wort Gottes verkündet wird, auf das wir zu vertrauen und zu hoffen haben im Leben und im Sterben (Barmer Theologische Erklärung, These 1).

Und:  diese zentrale Skulptur lädt ein, wie Maria, all diese Worte und (Heils-) Geschichte in unserem Herzen zu bewegen, wie wir es im Weihnachtsevangelium lesen nach der Verkündigung und Anbetung der Hirten. Zugegeben, das ist eine sehr persönliche Auslegung des Marienaltars, der Versuch, einen Marienaltar, der eher italienischer als deutscher sakraler Kunst verpflichtet wirkt,  evangelisch zu verstehen. Ob das legitim ist? Natürlich!

Eine These

Nun noch eine These, die ich nicht beweisen kann. Der Vorgängerbau der Hemmerder Kirche war dem Apostel Bartholomäus geweiht, der damalige Altar dem Heiligen Kreuz. Die Altarplatte hat die Johanniterkreuze an den vier Ecken des Altars bewahrt. Vom Vorgängerbau ist nichts erhalten. Was soll nun dieser Marienaltar nach Fertigstellung des lichtdurchfluteten Chorraums?  Es gibt keine Aufzeichnungen darüber und darum bleibt diese Frage unbeantwortet.

War dieser Altar in der Zeit der Nutzung durch beide Konfessionen in Hemmerde trotz so vieler schmerzhafter Verletzungen, die sich die Gläubigen zufügten, doch so etwas wie ein einendes Band? - eine heilige christliche Kirche, wie verschieden wir auch sein mögen als evangelische und katholische Christen. Mit dem Verkauf des Altars hat sich die Hemmerder evangelische Kirchengemeinde, sicher in einer Notsituation, dazu entschieden, dies gemeinsame Erbe zu veräußern. Schade eigentlich. Doch wir haben ja noch den schönen Altar flämischer Schule in der Evangelischen Kirche in Lünern.

Gerhard Ebmeier, Pfarrer in der Evangelischen Kirchengemeinde Hemmerde-Lünern

 

Altar-Betrachtung:

Mir ist sofort die Breite des Altars aufgefallen: 4,52 Meter breite gegenüber 20 Metern Höhe. In den beiden Flügeln und im Mittelteil links und rechts der Madonnenstatue sind Szenen aus dem Leben Mariens und Jesu abgebildet. Die Bilder sind gerahmt in rechteckigen Fächern, sehr figürlich, die Gläubigen sollten die Bilder lesen und verstehen können. Dieser so plastische Altar war die Bibel der Gläubigen, wie es einmal zu den Bildern in den Kirchen Papst Gelasius I. im 6. Jahrhundert gesagt hat. Dabei sind den Bildern männliche Heilige zur Seite gestellt, also ist der Altar gleich noch Katechismus dazu.

Dass Maria so im Mittelpunkt steht, lässt das auf eine starke Verehrung Mariens schließen. In Maria ist die Mutter Kirche abgebildet, die den Erlöser zur Welt bringt und als Protestant sage ich: im verkündigten Wort bringt die Kirche Christus zur Welt. Das gibt auch die Gesamtdarstellung her. Übrigens blieb auch Martin Luther Zeit seines Lebens ein frommer Marienverehrer, nannte sie immer die heilige Jungfrau und stand damit in der Tradition seiner damaligen katholischen Kirche: Maria - die Gottesgebärerin, wie die lateinische Kirche es aus der byzantinischen Tradition übernommen hatte. Auch die Heilige Anna ist abgebildet, die Mutter Jesu, die Luther angerufen hat im Gewitter bei Stotternheim, als er das Versprechen gab, Mönch zu werden, wenn er in dem Unwetter als Zeichen göttlichen Zorns verschont bliebe.

Insgesamt folgt der Altar der christlichen Ikonographie: der Hintergrund ist golden als Farbe der himmlischen Sphäre, auch Maria ist in einen Goldenen Schutzmantel gehüllt und sagt den Gläubigen damit zu: der Himmel umhüllt euch gebrechliche Menschen, von innen ist er rot, die Farbe der Liebe und des Blutes, ihr Gewand darunter ist dunkel; ihr Leiden am Tod ihres Sohnes und damit das alltägliche Leiden so vieler Eltern über den alltäglichen Tod ist damit abgebildet und doch umhüllt mit dem Mantel ewigen Lebens, das die Kirche verkündet. Und natürlich ist damit auch gesagt, dass Maria zur himmlischen Sphäre gehört als DIE eine Fürsprecherin derer, die sie anrufen und verehren.

Fangen wir nun mit der Betrachtung im linken inneren Altarflügel an:

Auf dem linken inneren Flügel sind von oben nach unten zu sehen:

  • Joachim und Anna an der Goldenen Pforte des Tempels, wo später Petrus einen Gelähmten heilen würde; wo sonst sollten Anna und Joachim sich treffen und Anna unbefleckt Maria empfangen als die Reine, wenn nicht hier an DER Pforte zum Heiligtum Gottes, wo SEIN Name wohnt.
  • Darunter ist der Tempelgang Marias abgebildet; sie bleibt nicht im Vorhof der Frauen, wie es üblich war in Israel, sondern tritt in die Sphäre des Göttlichen ein, dorthin, wo der Name Gottes wohnt.
  • Unten sehen wir dann die Ausgießung des Hl. Geistes, das Pfingstwunder, wieder mit Maria in der Mitte, dargestellt, wie es sich in dieser Zeit häufig findet.

Auf dem rechten inneren Flügel sind von oben nach unten abgebildet:

  • Oben die Taufe Jesu durch Johannes im Jordan, wobei jeglicher Hinweis auf die himmlische Stimme Gottes fehlt,
  • In der Mitte die Kreuzigung Jesu, keine Spur von den beiden Verbrechern, die laut dem Bericht der ersten drei Evangelien mit Jesus gekreuzigt werden, dafür links unter dem Kreuz aber die beiden Marien und Johannes und rechts unter dem Kreuz die Spötter 
  • Unten die Auferstehung Jesu, die dem Bericht des Evangelisten Matthäus folgt, mit den Wachen am Grab, die vor Schrecken paralysiert sind.

Jeder Szene in den inneren Seitenflügeln sind jeweils links und rechts ein Heiliger zur Seite gestellt, ergibt also insgesamt 12 und damit die Zahl der Zeugen des Evangeliums, die Zwölfzahl der Apostel.

Im Mittelteil des Schnitzaltars sehen wir links neben der zentralen Mariendarstellung von oben nach unten

  • Ankündigung der Geburt Jesu an Maria durch den Erzengel,
  • Begegnung Marias mit Elisabeth, ihrer Cousine,
  • die Geburt Christi; alles wie wir es im Lukasevangelium nachlesen können

Im rechten Teil neben der Mariendarstellung finden wir von oben nach unten

  • Tod Marias,
  • Beschneidung Christi,
  • Anbetung der Könige.

Jedem Bild ist ein Heiliger beigesellt.

Somit ergibt sich im Mittelteil eine sternförmige Komposition, deren Strahlen durch die Mitte hindurch gehen: Maria mit dem Jesuskind, das den Reichsapfel als Symbol der Herrschaft hält.

  • Die Ankündigung der Geburt an Maria oben links entspricht die Anbetung der Könige, die der Ankündigung der Geburt des Heilands in Israel durch den Stern folgen.
  • Die Begegnung mit Elisabeth, Mutter des Täufers Johannes, Frau des Priesters Zacharias entspricht der Beschneidung des acht Tage alten Jesus, wie es das Gesetz vorschreibt, der Wegbereiter und der lang ersehnte Messias sind sozusagen auf derselben Ebene. Beide haben dasselbe erfahren.
  • Der Geburt Jesu entspricht der Tod Marias, Geburt und Tod als die Eckpunkte des Lebens, wobei interessanterweise die Geburt Christi unten steht und der Tod Marias oben, somit also die Linie der Auferstehung und damit der Erlösung vorgezeichnet ist.

Und nun noch einmal zur Darstellung der Maria, Mutter Gottes, Fürsprecherin, Himmelskönigin. Maria, die Himmelskönigin steht dort in der Mitte, die bereits die Krone des ewigen Lebens trägt. Manche feministische Ausleger dieser Darstellungen sehen in Maria deshalb die geheime Göttin im Christentum.

Dabei hat sie bereits eine lange Tradition vorzuweisen. Schon zur Zeit des alten Israels wurde die Himmelskönigin auch im Tempel dargestellt und verehrt:  Astarte, die Gemahlin Jahwes sozusagen, wie es archäologische Funde aus dem siebten und achten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung im Jerusalemer Gebiet zu Tage gefördert haben, ob uns das nun passt oder nicht.

Maria, die Himmelskönigin, die, die den Himmel auf die Erde bringt, so menschlich, so leicht zu begreifen, in einem Kind. War schon Eva (Hawwa) im Paradies die Mutter alles Lebendigen, das bedeutet 'Eva, so ist Maria die Mutter Gottes, des Schöpfers allen Lebens. Gott kommt in ihr zur Welt in einem Kind, schutzlos und hilfebedürftig wie wir und doch das Leben selbst, deshalb der Reichsapfel: Das Wort ward Fleisch, würden wir als Protestanten vielleicht eher sagen mit dem Johannesevangelium, das Wort, durch das alles geschaffen ist, was ist.

Ihr  und Christus ist die Inschrift auf dem Altar gewidmet, wie es die Statue ja schon ahnen lässt, gefolgt von einer datierten Widmung des Künstlers Conrad Borgentrik.

Latein:

Regina · ce(l)i · laetare · all(elu)ia ·Quis quem · meruistia · portare · alleluia ·
Resurexit · sicud · dixit · alleluia ·ora · pro · nobis · deu(m) · alleluia ·Completu(m) · e(st) · op(us) · ill(u)d · i(n) · bru(n)swik· p(er) · me · (Con)radu(m) · Borge(n)trik ·1483 · vi(gili)a · laure(n)c(ii) ·

Deutsche Übersetzung:

Himmelskönigin, freue dich. Halleluja.
Der, den du zu tragen verdient hast, Halleluja, ist auferstanden, wie er gesagt hat. Halleluja. Bitte Gott für uns. Halleluja.

Dieses Werk ist in Braunschweig durch mich, Konrad Borgentrik, 1483 am Tag vor Laurentius (= 9. 8. !) fertiggestellt worden.