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Ev. Kirche Opherdicke: Das Bauwerk auf der Höhe des Haarstrangs stammt nicht aus einer einzigen Bauperiode, viele Jahrhunderte haben ihre Spuren hinterlassen. Das hochromanische Langhaus mit dem einzigen Seitenschiff im Norden und dem Querhaus mit Apsis im Osten entstand 1120 bis 1150. In den Jahren 1868 bis 1870 erfolgte eine Erweiterung nach Osten durch Hinzufügen eines weiteren Jochs zum Querhaus. Der quadratische Turm stammt mindestens aus dem frühen 12. Jahrhundert und hat eine Höhe von ca. 30 Metern. Von 1982 bis 1984 wurde die Ev. Kirche umfangreich saniert. Anschrift: Unnaer Straße 70, 59439 Holzwickede-Opherdicke Öffnungszeiten: April bis Oktober, dienstags bis sonntags von 10 bis 16 Uhr

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Archiv

28. Januar 2014

Gott will das Leben und nicht den Tod

Anläßlich des Gedenktages der Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar erinnert Superintendentin Annette Muhr-Nelson an Gottes Verheißung: Gottes Güte sorgt dafür, dass es mit uns noch nicht aus ist. Gottes Barmherzigkeit hat noch kein Ende. Sie ist jeden Morgen neu.

"In der Gedächtniskapelle der Kathedrale von Dresden gibt es eine eindrucksvolle Skulptur. Sie wurde 1976 von dem im westfälischen Ascheberg geborenen Bildhauer Friedrich Press aus Meißener Porzellan erschaffen. Es handelt sich um eine weiße, ca. 8m hohe stark stilisierte Figur. Eigentlich ist es keine Figur, sondern ein Steinblock, schmal, hoch, gewaltig, eher ein Totempfahl als eine Figur.  Am oberen Ende sind Augen erkennbar, so groß wie Teller, und diese Augen sind leer. Kein Zucken, kein Wimpernschlag, keine Träne, nur Leere, entsetzte, entsetzliche Leere. So mag Lots Frau ausgesehen haben, zur Salzsäule erstarrt. Auf Brusthöhe ein Gewirr von spitzen Brocken. Sie symbolisieren die Trümmer des zerbombten Dresdens, zur Dornenkrone zusammengesetzt. Unten, zu ihren Füßen der Korpus Christi. Auch er steif, versteinert. Der Steinbrocken, der seinen Kopf darstellt, liegt unten, ohne Verbindung zum Körper. Abgebrochen, geschlagen, tot. Die Unterschenkel ebenso. Und da, wo das Herz schlägt, befindet sich eine tiefe Aushöhlung. Die Herzwunde. So groß, dass ein Kind sich hineinlegen könnte.

Kein Herz. Keine Liebe.

"Die aufklaffende Seitenwunde des vom Kreuz abgenommenen Christus kündet von seiner unendlichen Liebe, die uns trotz Krieg und Hass von Schuld freispricht und Versöhnung anbietet. Allein die Liebe kann den Teufelskreis der Vernichtung durchbrechen", heißt es in der Beschreibung. Das mag richtig sein, aber ich habe meine Anfragen an diese Deutung. Was ich sah, als ich dieser Skulptur begegnete, war folgendes: da, wo der Brustkorb ist, wo das Herz sein sollte, befindet sich nichts. Leere. Kein Herz. Keine Liebe. Der Anblick des Grauens hat ihm das Herz aus dem Leib gerissen. Christus ist herzlos.  Mein Eindruck war: dieses Bildnis kündet gar nicht von Gottes "unendlicher Liebe, die uns trotz Krieg und Hass von Schuld freispricht und Versöhnung anbietet", sondern es redet von der Abwesenheit dieser Liebe. Das ist irritierend, verstörend, beunruhigend, für manchen vielleicht ein Skandal. Und das gilt es erst einmal auszuhalten.

Überstrapazieren wir Gottes Liebe?

Bis in die  70er Jahre haben wir uns in Kirche und Gesellschaft noch ernsthaft mit der Frage der Schuld angesichts der Gräuel des Nationalsozialismus und dem Ringen um Vergebung auseinandergesetzt. - Heute sind wir darüber hinweg und verkünden, für meinen Geschmack manchmal zu leichtfertig, die Gewissheit der Gnade. Meine Frage ist: strapazieren wir damit nicht Gottes ohne Zweifel unendliche Liebe über die Maßen? Nutzen wir sie nicht aus für uns und unsere Zwecke? Denn Versöhnung gibt es nicht im Selbstbedienungsladen. Versöhnung kann ich mir nur schenken lassen. Ich habe kein Recht auf Versöhnung. Ich kann nur darum bitten - und muss bangen Herzens darauf warten, ob sie mir gewährt wird. Die Schmerzensmutter von Friedrich Press, der in der Nazi-Zeit als entarteter Künstler galt, erregt auch heute noch Aufsehen. Viele Dresdner und viele Besucher Dresdens, und damit meine ich nicht nur diejenigen, die am 12. Februar jeden Jahres zu Naziaufmärschen in die Stadt kommen, stoßen sich daran, dass es dezidiert nicht nur an die Opfer des brennenden Dresdens erinnern will, sondern auch an "die Seelen der Gerechten unter dem himmlischen Altar, deren Blut nach Sühne schreit" (Apk 6,9), wie es in der Apokalypse des Johannes beschrieben wird. Zwei Wochen vor der Bombardierung Dresdens wurde Auschwitz befreit. Die Menschen, die dort rausgeholt wurden, glichen der versteinerten Schmerzensmutter mehr als ihren Befreiern. Ausgemergelt bis auf die Knochen, die Haut bleich und papierdünn, die Augen tief in den Höhlen, der Blick leer. Und ihr Herz? Und ihre Liebe? Und ihre Versöhnungsbereitschaft? Viele brachen nach der Befreiung entzwei, weil es leichter war, sich dem Tod zu überlassen als sich einem neuen Leben zu stellen. Lasst uns sie nicht vergessen und ihre Seelen heilig halten.

Was wir tun, um Krieg zu überwinden

Heute, knapp 70 Jahre später, haben wir erlebt, es gibt Holocaust-Überlebende, die aus der Distanz zu versöhnenden Gesten fähig und bereit sind. Es gibt wieder jüdisches Leben in Deutschland, auch in Unna. Dafür sind wir sehr dankbar. Ich staune immer wieder darüber. Zeichen von Gottes Gnade mitten unter uns. Es gibt sichtbare Zeichen, die ein vorsichtiges Zutrauen in die Unendlichkeit der Liebe Gottes ermöglichen.  Aber es gibt auch die leeren Augen und herausgerissenen Herzen. Immer noch millionenfach. Und ihre Frage an uns, was wir tun, um Krieg und Gewalt zu überwinden. Ob wir am Ende nicht vor Gott mit leeren Händen dastehen, steht noch dahin... Es gibt ein Lied, das uns geschenkt wurde  von einem jüdischen Dichter, Schalom Ben Chorin. Es beschreibt die Kraft, aus der heraus das jüdische Volk bis heute überlebt hat, und schenkt uns Hoffnung und einen gemeinsamen Blick nach vorn. "Freunde, dass der Mandelzweig wieder blüht und treibt, ist das nicht ein Fingerzeig, dass das Leben bleibt? Dass das Leben nicht verging, soviel Blut auch schreit, achtet dieses nicht gering in der trübsten Zeit. Tausende zerstampft der Krieg, eine Welt vergeht. Doch des Lebens Blütensieg leicht im Winde weht. Freunde, dass der Mandelzweig sich in Blüten wiegt, bleibe uns ein Fingerzeig, wie das Leben siegt." Gott will das Leben und nicht den Tod. So können wir der Verstorbenen gedenken und die Opfer des Nationalsozialismus in unserem Gedächtnis halten, ohne daran zu zerbrechen. Weil sie bei Gott aufgehoben  und in seiner unendlichen Liebe geborgen sind."

Gebet

Gott, du bist das Licht der Völker, und auch uns zählst Du zu deinen Strahlen.
Hilf, dass wir uns den dunklen Tälern der Schuld stellen, sie nicht zu verharmlosen suchen, sondern sie durchschreiten. Nur so können wir ins Licht gelangen.
Wir bitten dich für die Opfer des Nationalsozialismus.
Und wir bitten dich für die Opfer heutiger Diktaturen. Besonders denken wir an die Menschen in der Ukraine, in Syrien, in Ägypten und in Zentralafrika.
Wir bitten dich für alle, die gegen Rassismus und Gewalt aufstehen.
Wir bitten dich für alle, die schuldig geworden sind.
Wir bitten dich, Gott, du Licht der Völker, werde doch sichtbar mit deinem Frieden in unserer Welt!